Dienstag, 5. April 2016

Musik, die bewegt - Teil 9

„Smells Like Teen Spirit“ führt die bis dato unbekannte Band Nirvana 1991 an die Spitze der weltweiten Charts. Es die DIE Hymne der noch jungen Grunge-Bewegung. Mit dem Mix aus Aggression und Resignation trifft der Sound aus Seattle in den 90ern den Nerv der Zeit und wird zum Sprachrohr einer ganzen Generation, obwohl Kurt Cobain sich noch nicht mal als echten Musiker begreift.

Im Interview 1993 sagte er: „Ich habe kein Konzept und weiß nicht, was Musiker so machen.
Ich meine, ich weiß nicht, wie die Akkorde heißen und ich weiß nicht, wie man Dur oder Moll auf der Gitarre spielt.“ 

Trotz Understatements wird Sänger Kurt Cobain zum Held wider Willen. Ausgerechnet er, der Kommerz, Erfolg und das ganze Musikgeschäft verabscheut, wird zum größten Rockstar seiner Generation aufgebauscht.
Sein Selbstmord im April 1994 macht Nirvana auf dramatische Weise unsterblich. 

Bob Geldof im Interview: „Leute, die Songs schreiben, beginnen, die Welt durch sehr kalte Augen zu betrachten. Und in einem von tausend Fällen passiert es, dass eins dieser Kids mit seinem Sound den Nerv der Zeit trifft. Man hört das und denkt sich: Alter, das stimmt. Ich weiß nicht, was du tust, aber du hast Recht.“ 

Und genau diesen Nerv trifft Kurt Cobain.
Alles beginnt mit einem Schriftzug - nach einer durchzechten Nacht auf die Wand von Cobains Appartement gesprüht. 
KURT SMELLS LIKE TEEN SPIRIT 
„Kurt riecht nach Teen Spirit“, dem Deodorant, das seine damalige Freundin benutzt.
Cobain kennt die Marke und den Werbespot nicht, findet den Titel aber gut und macht ein Lied daraus.
Es wird der Song, der die Rock-Musik der 90er Jahre prägt wie kein zweiter.
Die Zeile „Here we are now, entertain us” bringt die Einstellung einer ganzen Generation auf den Punkt. Desillusionierte Kids, die dem oberflächlichen Pop-Zirkus überdrüssig geworden sind.

Nirvana hatten zu dieser Zeit einen riesigen Einfluss auf die gesamte Musikindustrie. Ich denke, den haben sie immer noch. Man hört diesen Einfluss bei vielen Bands, die es heute gibt.
Gemessen am kurzen Zeitraum, in dem es sie gab, ist es vermutlich eine der einflussreichsten Bands überhaupt.

Völlig unerwartet stößt das Nirvana-Album Nevermind 1991 sogar Michael Jacksons LP „Dangerous“ von der Spitze der US-Charts.

Der Clip zu „Smells Like Teen Spirit“ ist bis heute das meistgespielte Video bei MTV Europe.

Nirvana stammen aus Aberdeen, einem verschlafenen Kaff im Nordwesten der USA.
Knapp 130 Kilometer außerhalb von Seattle. Dort gibt es Ende der 80er Jahre eine rege Musikszene, die aus Punk und Rock den dreckigen und völlig neuen Seattle-Sound kreiert – Grunge.
Neben Nirvana sind Bands wie Soundgarden und Pearl Jam die Pioniere des neuen Genres.

Es war jetzt wirklich an der Zeit, dass der Rock & Roll sozusagen zu seinen schmutzigen Fingernägeln zurückkehrt, und genau das hat Nirvana repräsentiert.
Ungepflegt ist auch die Erscheinung. Lange Haare, abgetragene Jeans, Chucks und Karo-Flanellhemden werden zum neuen Modetrend.
Ein großes Missverständnis, denn der Look ist nicht bewusst gewählt, sondern einfach nur bequem. Trotzdem will Anfang der 90er bald jeder genau so aussehen.

Schon bald verflucht die Band ihren größten Hit. Bei Konzerten verzichtet sie auch mal auf ihn. Zumindest weigern sich Nirvana, „Smells Like Teen Spirit“ ganz gewöhnlich zu spielen. Zudem unterlaufen sie Absprachen mit TV-Shows und zerstören die Bühne und ihr Equipment.
Kurt Cobain wird dennoch – oder gerade deshalb – zum Idol. Der charismatische Eigenbrödler singt in den 90er Jahren Millionen von frustrierten Jugendlichen aus der Seele.
Er war die kreative Kraft hinter der Band und er stand natürlich als Gitarrist und Leadsänger an vorderster Front. Das ist eine harte Nummer und offensichtlich war es schlimm.
Er war wahrscheinlich ein innerlich zerrissener Mensch, was auch seine gewisse Genialität ausmachte.
Die Texte von Kurt Cobain verbreiten nicht gerade gute Laune. Er vertont eigene, trübsinnige Gedichte, schreibt über Vergewaltigungen und Antidepressiva, wie im Song LITHIUM, ein starkes Medikament für manisch Depressive, das er auch selbst nimmt.
Eigentlich kein Stoff für die Top 10, aber Kurt macht auch bei Texten keine Zugeständnisse an den Markt. Er schont den Zuhörer so wenig wie sich selbst. Bei Interviews wirkt er zunehmend zugedröhnt.

Ich denke, als Künstler kann das Schreiben eine Form der Therapie sein. Kurt hatte viele Dämonen in sich und das war seine Art, sie rauszulassen.
Ob Kurt Cobain mit dem Leben im Allgemeinen oder mit dem enormen Erfolg nicht klar kommt, ist schwer zu sagen.
Er flüchtet sich jedenfalls in Drogen und wird von Depressionen, Magenschmerzen und Selbstmordgedanken gequält. Seine turbulente Ehe mit Courtney Love von der Band Hole bringt keine Ruhe. Auch die Geburt seiner Tochter Frances Bean im August 1992 kann Kurt über seinen Weltschmerz nicht hinwegtrösten.


Im März 1994 haben Nirvana in München ihren letzten Auftritt.
Kurz darauf fällt Cobain nach einer Überdosis Beruhigungsmittel und Alkohol in einem römischen Hotel ins Koma.
Einer anschließenden Entziehungskur in Kalifornien entzieht er sich, indem er aus dem Exodus Recovery Center in Marina del Rey flieht und untertaucht.
Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die Band bereits aufgelöst, was Dave Grohl und Krist Novoselić aber erst Jahre später bestätigten.
Vier Tage später, am 5. April, starb Cobain in seinem Haus in Seattle.
Er wurde mit einer Überdosis Heroin und einem Kopfschuss aus seiner Browning Auto-5 Selbstladeflinte aufgefunden.
Er hinterließ einen Abschiedsbrief, der mit einem Zitat des Neil-Young-Songs „My My, Hey Hey (Out Of The Blue)“ endete: 
“It’s better to burn out than to fade away.” 
Wörtlich übersetzt: „Es ist besser, auszubrennen, als zu verblassen.“
Andere Quellen übersetzen: „Es ist besser, zu verbrennen, als langsam zu verglimmen.“

Er wird nur 27 Jahre alt. Fans auf der ganzen Welt trauern und der „Klub 27“ bekommt ein neues Mitglied. Er stirbt im selben Alter wie Jimmy Hendrix, Janis Joplin, Brian Jones und Jim Morrison.
2011 wird dann auch Amy Winehouse in den morbiden Klub aufgenommen.

Kurts dramatischer Selbstmord läutet auch das Ende der Grunge-Bewegung ein. 
„Smells Like Teen Spirit“ aber wird für immer die Hymne der letzten Rock-Explosion der Musikgeschichte bleiben.

Obwohl der Vorfall offiziell als Selbstmord deklariert wurde, rissen die Spekulationen um seinen Tod nie ganz ab. Hatte sich einfach jemand Cobains reißerische Weltschmerzpose zunutze gemacht, um einen Mord zu vertuschen? Geriet seine skandalträchtige Witwe Courtney Love zu Unrecht immer wieder in Verdacht, am Tod ihres Mannes nicht ganz unschuldig zu sein?
Die Journalisten Ian Halperin und Max Wallace sind den Ungereimtheiten in ihrem Buch „Mordfall Kurt Cobain - was bisher verschwiegen wurde“ auf den Grund gegangen.

Auf einer vom Magazin Forbes im Jahr 2006 veröffentlichten Liste war Cobain übrigens auf Platz eins der „am besten verdienenden Toten“ gelistet.

(Quelle: Auszugsweise aus der VOX-Serie "100 Songs, die die Welt bewegten")

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