Kursk – 25 Jahre danach: Erinnerung an eine Katastrophe unter Wasser
Am 12. August
2000, um 11:28 Uhr Moskauer Zeit, explodierte im Barentssee ein russisches
Atom-U-Boot der Oscar-II-Klasse – die Kursk.
25 Jahre später ist das Unglück nicht nur eine Tragödie mit 118 Todesopfern,
sondern auch ein Sinnbild für das dramatische Ende einer Ära, für militärische
Intransparenz und das menschliche Bedürfnis nach Wahrheit, Gedenken und
Veränderung.
| Die "Kursk": Das 1990 gebaute U-Boot auf einer undatierten
Archivaufnahme im Hafen des nordrussischen Marinestützpunkts Zapadnaya Lista. Der Stahlkoloss von 154 Metern Länge und über 14.000 Tonnen Gewicht wurde von zwei Atomreaktoren angetrieben. Die tauchende Festung war mit 24 Marschflugkörpern und 28 Torpedos bestückt. |
Die Katastrophe
Die Kursk
war der ganze Stolz der russischen Nordflotte – modern, gewaltig, angeblich
unsinkbar. Doch während eines groß angelegten Manövers kam es zur Katastrophe:
Ein defekter Torpedo entzündete sich in einem Bug-Torpedorohr und löste eine
Kettenreaktion aus. Die erste Explosion wurde zunächst kaum bemerkt.
Zwei
Minuten später erschütterte eine zweite, deutlich stärkere Explosion das Schiff
– das Schicksal der Kursk war besiegelt.
Das U-Boot sank auf den Grund
der Barentssee, rund 108 Meter tief.
Verpasste Chancen, verlorene Leben
In den
folgenden Tagen hielt sich die russische Regierung mit Informationen zurück.
Angehörige und die Öffentlichkeit wurden mit vagen Aussagen und Halbwahrheiten
vertröstet. Erst mit Verzögerung bat Russland internationale Hilfsteams um
Unterstützung – zu spät für die Männer, die die Explosionen überlebt hatten.
Später gefundene Notizen deuteten darauf hin, dass einige Seeleute im hinteren
Teil des U-Boots (neunte Sektion) noch Stunden, möglicherweise sogar Tage, am
Leben waren. Ihre letzten Worte, auf Zettel gekritzelt, zeugen von Angst, Mut
und Verzweiflung….
Ein feuchtes Stück Papier, gefunden von Marinetauchern im Innern des Bootes
beim ertrunkenen Kapitänleutnant Dmitri Kolesnikow (27 Jahre), dessen Leiche
schwere Verbrennungen aufwies, dürfte bei den Herren im Kreml und im
Flottenstab für Nervosität sorgen.
23 Seeleute, so die im Dunkeln gekritzelte
Mitteilung, seien nach dem Untergang des U-Bootes noch am Leben gewesen und
hätten vergeblich der Hilfe von oben geharrt.
Die letzten Worte von
Kapitänleutnant Dmitri Kolesnikow werfen eine Frage auf, die noch immer ganz
Russland erregt: Hätten die Seeleute lebend gerettet werden können, wenn Putin
sofort und nicht erst am fünften Tag nach dem Unglück ausländische Hilfe
akzeptiert hätte?
Hat die Staatsmacht kaltblütig Menschenleben geopfert?
Die
Worte der Admiräle, schon "in den ersten Sekunden" nach der Explosion
seien alle 118 Seeleute ums Leben gekommen, wurden mit dem Schreiben aus 108
Meter Tiefe jedenfalls widerlegt.
Dass der Brief überhaupt auszugsweise das Licht der Öffentlichkeit erblickte,
kann indes als ermutigendes Zeichen gewertet werden.
Früher wären solche Zeilen
schleunigst in ein Geheimarchiv gebracht und mit dem Stempel "Sowerschenno
sekretno", "Streng geheim", versehen worden.
Davon abgesehen wäre es nicht verwunderlich, wenn andere wichtige Mitteilungen
des Kapitänleutnants, die noch brisanter sind, unter Verschluss gehalten
werden.
Politische Erschütterungen
Der Untergang der Kursk war nicht nur eine maritime Katastrophe, sondern auch eine politische. Die langsame und unbeholfene Reaktion der Regierung Putin – damals noch am Anfang seiner Amtszeit – löste national und international Kritik aus. Es war eine Konfrontation mit den Grenzen des post-sowjetischen Systems: maroder Technik, mangelnder Transparenz und einem politischen Apparat, der mehr auf Kontrolle als auf Menschlichkeit setzte.
Gedenken: Ein
kleiner Junge steht am 12. August 2001 während einer Feier zum Gedenken an die
118 gestorbenen Besatzungsmitglieder des gesunkenen russischen U-Boots
"Kursk" neben den Porträts der Opfer. Die Feier wurde in der
Unterkunft der Soldaten in ihrer Heimatgarnison, Widjajewo, abgehalten. Die
"Kursk" war ein Jahr zuvor während eines Großmanövers der
Nordmeerflotte gesunken. |
Lehren aus der Tiefe
In den Jahren
danach wurden einige Reformen bei der russischen Marine angestoßen, doch die Kursk
bleibt Mahnmal und Mythos.
Für die Angehörigen war es ein tiefer Einschnitt,
für Russland ein schmerzhafter Realitätscheck. Die Kursk wurde 2001 in
einer spektakulären Bergungsaktion an die Oberfläche geholt – ihre Hülle, einst
Symbol militärischer Stärke, offenbarte die Wunden einer untergehenden
Supermacht.
Gedenken 25 Jahre später
Heute – ein
Vierteljahrhundert später – erinnern wir uns an die 118 Männer, die ihr Leben
verloren. In Russland werden in Gedenkzeremonien Blumen niedergelegt, Kirchen
läuten Glocken, Angehörige sprechen von offenen Wunden.
Doch auch über die
Landesgrenzen hinaus bleibt das Unglück ein Ereignis, das bewegt. Es mahnt uns,
die Risiken militärischer Macht mit Respekt zu betrachten, die Bedeutung von
Transparenz zu erkennen – und vor allem, das menschliche Leben über politische
Interessen zu stellen.
„Gruß an alle, nicht verzweifeln“ – diese Worte schrieb Leutnant Dmitri Kolesnikow wenige Minuten, bevor ihm der Sauerstoff ausging. 25 Jahre später hallen sie noch immer nach – als Erinnerung an ein dunkles Kapitel und als Aufruf, aus der Geschichte zu lernen.
Brieffragment:
Olechka (Verniedlichung
von Olga), ich liebe dich, mach dir nicht so schlimme Sorgen.
Gruß an G.W. (Initialen), Gruß an meine Leute.
12.08.2000
15:15
Zum Schreiben ist es hier zu dunkel, aber ich versuche es mit Tasten (Fühlen).
Es scheint keine Chance zu geben, in % etwa 10-20
Wir hoffen, dass es von jemandem gelesen wird.
Hier ist die Liste des Personals der Sektionen, manche (Leute) befinden
sich in der neunten (Sektion)
und werden versuchen rauszukommen.
Gruß an alle,
kein Grund zu Verzweiflung
Kolesnikov
Doch der vom
Stabschef der Nordflotte bekannt gegebene Text ist nur ein Fragment des
Kolesnikow-Zettels.
Manche glauben, dass ein Teil von Kolesnikows Nachricht noch immer geheim gehalten wird.
https://www.spiegel.de/politik/moerder-der-kursk-a-9068ec1e-0002-0001-0000-000017705018