Montag, 25. Dezember 2017

Ein neues Jahr wird uns geschenkt

Montag, 25. Dezember 2017:
Der folgende Text ist von Michael Ritz aus Berlin.
Die TAZ veröffentlichte ihn am 24.12.2016 als Alternative zur Ansprache des Bundespräsidenten Joachim Gauck am 25. Dezember in Schloss Bellevue.


Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, Angst essen Seele auf, das können Sie mir glauben.
Sie haben nur eine Seele, nehmen Sie Rücksicht darauf, fürchten Sie sich nicht so viel, so schlimm ist es gar nicht.
Trinken Sie mehr klares Wasser.
Atmen Sie bewusst, wenigstens ab und zu.
Lesen Sie nicht nur Romane über Gerichtsmedizinerinnen und Serienmörder. Lesen Sie ab und zu Weltliteratur, es lohnt sich. Fangen Sie an mit John Steinbeck "Von Mäusen und Menschen".
Interessieren Sie sich mehr für Kunst, es muss ja nicht gleich Beuys sein.
Finden Sie heraus, wann der Siebenjährige Krieg stattgefunden hat, und merken Sie sich das, Sie werden sich besser fühlen.
Versuchen Sie nicht herauszufinden, wer wann wo warum gegen wen gekämpft hat.
Verbringen Sie mal einen Tag, ohne auf einen Bildschirm zu blicken.
Finden Sie heraus, wer Ihr Bundestagsabgeordneter oder Ihre Bundestagsabgeordnete ist. Googeln Sie ihn oder sie mal ausführlich.
Schenken Sie morgen Vormittag den ersten fünf Menschen, denen Sie begegnen, für ein paar Sekunden Ihre volle Aufmerksamkeit.
Verstehen Sie das Wunder, dass Sie mit ihnen gleichzeitig auf diesem Planeten leben und mit einem Affenzahn durch das Weltall sausen.
Und auch gerne Pommes mit Mayo essen.
Essen Sie jeden Tag einen Apfel.
Mögen Sie unser Grundgesetz, es ist besser als sein Ruf, ein fabelhaftes Teil. Lesen Sie mal drin rum, besonders im vorderen Teil.
Sprechen Sie mal mit Ihren Geschwistern darüber, was Ihnen Ihre Mutter in der Kindheit für Essen gekocht hat.
Umarmen Sie Ihren Partner oder Ihre Partnerin sofort, wenn Sie ihn oder sie das nächste Mal sehen. Wenn er oder sie sich dagegen wehrt, haben Sie ein Problem, das gelöst werden muss. Die Lösung liegt bei Ihnen.
Fassen Sie mal das Verkehrsschild an, das Ihrer Wohnung am nächsten steht und stellen sich den Menschen vor, der es dort montiert hat.
Nehmen Sie Fußball nicht so ernst.
Bleiben Sie dran an der Weltliteratur: Stefan Zweig, "Schachnovelle".
Lachen Sie sich mal im Spiegel an. Danach aus.
Verbringen Sie noch einen Tag ohne auf einen Bildschirm zu blicken.
Besuchen Sie mal einen Soldatenfriedhof, es ist nicht weit.
Machen Sie regelmäßig Spaziergänge an einem fließenden Gewässer.
Seien Sie nicht so oft zornig, Sie sind ja nicht mehr vier Jahre alt.
Machen Sie öfter mal mit. Fragen Sie nicht wobei, das wissen Sie doch.
Geben Sie sich mal das Klarinettenkonzert von Mozart, das aus "Jenseits von Afrika", Sie wissen schon.
Gehen Sie jetzt richtig los auf die Weltliteratur: Mark Twain "Huckleberry Finn" am besten die Ausgabe mit den Illustrationen von Walter Trier.
Glauben sie nicht alles, wovon Sie überzeugt sind.
Folgen Sie nicht jedem Ratschlag. Aber auch nicht keinem.
Sie sind doch erwachsen.
Fragen Sie nicht, was 2017 Ihnen gebracht hat, sondern fragen Sie sich, was Sie 2017 gebracht haben.
Ziehen Sie aus der Antwort Ihre Schlüsse für 2018. Na los. Sie schaffen das.
Beste Wünsche für ein Hammer 2018.

Sonntag, 3. Dezember 2017

Goldene Spur

Sonntag, 03. Dezember 2017:
Goldene Spur

Die Adventszeit hat begonnen. Für viele bedeutet das Plätzchenduft, Kerzenschein und gemütliches Beisammensein. Aber auch: Überfüllte Einkaufsmeilen, Termindruck, Stress und Hektik.
Es fällt oft schwer, in dem ganzen Trubel zur Ruhe zu kommen – innerlich und äußerlich. Schließlich soll am Heiligen Abend alles perfekt sein.

Es ist ein vergoldeter Neuanfang. Aus Japan stammt die traditionelle Kunst der Goldreparatur: „Kintsugi“.
Wenn eine wertvolle Keramikschale zerbricht, dann werden die Scherben nicht weggeworfen, sondern wieder zusammengefügt. Nicht ohne sichtbare Risse, das wäre ja unmöglich.
Man sieht der Schale die Reparatur an. Das soll auch so sein.
Die Bruchstellen werden nicht nur mit besonderem Kitt und Lack geflickt, sondern auch mit Goldstaub. Die Brüche wirken so besonders kostbar.
Das ganze Gefäß wirkt neu und anders, es glänzt sogar.
Die Japaner betrachten das wiederhergestellte Porzellan– oder Keramikstück nicht als mangelhaft. Im Gegenteil: Mit den Rissen kommt etwas wertvolles hinzu.
Jede wiederhergestellte Schale zeigt: Auch ich bin gebrochen. An unterschiedlichen Stellen, sichtbar und unsichtbar.
Ich bin verletzt worden und habe andere verletzt.
Das Leben hat Spuren an mir hinterlassen.
Es kostet Zeit und Mühe, wieder ganz zu werden.
Doch meine Risse und Brüche machen mich einzigartig.
Ich bin wertvoll, so wie ich bin.


Der Advent ist für mich genau die richtige Zeit, auf das eigene Leben zu blicken, sich seiner Brüche bewusst zu werden und neue Kraft zu schöpfen für das, was vor mir liegt.

(Teilweise Auszüge von Iris Macke)

Freitag, 1. Dezember 2017

Musik, die bewegt – Teil 14

Freitag, 01. Dezember 2017:
“ANGELS” klingt wie ein klassischer Love-Song, ist aber keiner.
Vielmehr ist es eine Liebeserklärung an die Verstorbenen.
Die Briten wählen die Ballade 2005 zum besten Lied der letzten 25 Jahre.
ANGELS stürmt 1997 in die Charts und ist der Startsschuss für Robbie Williams’ außergewöhnliche Solokarriere.
Für den Erfolg des Songs ist nicht alleine Robbie verantwortlich. Der Komponist Guy Chambers hat ihn gemeinsam mit Williams geschrieben. Eine perfekte Mischung, die noch viele weitere Alben hervorbringen soll.
Soweit die offizielle Version.
Tatsächlich liegt der Ursprung des Songs bei dem irischen Musiker Ray Heffernan.
Robbie und Ray treffen sich im Winter 1996 zufällig in einer Kneipe in Dublin. Sie reden und trinken. Bis Ray ihm von seinem Song “An Angel Instead” erzählt, der tragischen Geschichte seines vor der Geburt verstorbenen Kindes.

Begleitet von viel Alkohol ziehen die Männer von der Kneipe auf Rays Dachboden um und schreiben gemeinsam bis in den frühen Morgen an Songs… auch an ANGELS.
Später werden dem irischen Musiker die Rechte an dem Song vollständig abgekauft – gegen eine einmalige Zahlung von rund 10.000 Euro.
Guy Chambers und Robbie Williams machen aus dem Stück einen Millionenerfolg. Auf dem Booklet zur CD werden am Ende nur Robbie und Guy als Texter und Komponist genannt. Ray Heffernan bekommt lediglich eine versteckte Grußbotschaft.

Geboren in einem Vorort von Manchester gewinnt Robbie Williams schon als Dreijähriger einen Talentwettbewerb und macht früh als Klassenclown auf sich aufmerksam.
Sein Vater ist Varieté-Künstler und so zieht es auch Robbie Williams auf die Bühne. Seine Musikkarriere startet er Anfang der 90er mit der Boy-Band “Take That”.
1995 sind “Take That” in 31 Ländern auf Platz Eins und Robbie der Liebling der Fans.
Als im Mai 1995 das Album “Nobody Else” erscheint, brodelt es hinter den Kulissen von “Take That” gewaltig. Der 21-jährige Williams hat das Kapitel bereits abgeschlossen.

Robbie Williams im Interview von 1995:
„Ich habe keine klare Vorstellung davon, wo für die Gruppe die Reise hingeht, da bin ich eher ein Mitläufer. Wenn ich den Eindruck habe, etwas geht in die falsche Richtung, dann sage ich das. Und wenn ich eine Entscheidung gut finde, dann stimm‘ ich dem zu. Klar habe ich auch eigene Idee, aber die behalte ich meistens für mich, aus Angst, damit komplett falsch zu liegen.“


Die Bombe platzt vier Monate später. Robbie Williams verlässt die Gruppe.
Die Nachricht stürzt Fans weltweit in Verzweiflung. Aufgelöste Teenager wollen nicht wahrhaben, dass ihre Lieblingsband auseinanderbricht. Unzählige Selbstmorddrohungen gehen bei eiligst eingerichteten Hotlines ein.
Als Grund für seinen Ausstieg geben das Management und die verbliebenen Bandmitglieder an, dass Robbie der ganze Rummel einfach zuviel geworden ist.

Mark Owen 1995 im Interview:
„Robbie hat seine Entscheidung getroffen. Wir wissen nicht, was ihn dazu bewogen hat. Zu den Vorwürfen können wir sagen, naja, es gibt Zwänge und Druck, aber gibt es den nicht in jedem Job? Es gibt immer gute und schlechte Tage. Wir jedenfalls haben viel zu viel Spaß bei der Sache, als dass wir ans Aufhören denken. Bei Robbie war das anders, er hat den Spaß verloren.“


Aber schon wenig später kommt die Wahrheit ans Licht. Nicht Robbie drängte auf seinen Bandausstieg, er wurde schlichtweg gefeuert aufgrund anhaltender Party- und Drogenexzesse.
Noch während Robbie im englischen Frühstücksfernsehen gute Miene zum bösen Spiel macht, reichen seine Anwälte Klage ein. Die Zeichen stehen auf Krieg.
Für Robbie beginnt ein neues Leben ohne “Take That”. Der Ex-Teenie-Star tut alles, um sein Boyband-Image loszuwerden.
Vier Singles erscheinen zwischen 1996 und 1997, doch an die Erfolge von “Take That” kann Robbie Williams nicht anknüpfen. Bald ist der Sänger ohne Schulabschluss der letzte, der noch an seine Solokarriere glaubt.

Robbie Williams, Interview von 1997:
„Ich bin der geborene Entertainer. Ein absoluter Bühnenmensch. Ich bin geboren, um vor dieser Kamera zu stehen und tausende Menschen zu unterhalten.“


Im September 1997 präsentiert Robbie Williams in Paris sein Solo-Debütalbum “Life Thru A Lens”. Dabei nennt er der Presse auch seinen Songfavoriten:
„Angels ist mein Lieblingstrack auf dem Album. Es ist eines der ersten Stück aus der Zusammenarbeit mit Guy Chambers. Es ist sehr persönlich, denn es handelt von etwas, an das ich glaube. Dass es etwas oder jemanden gibt, der auf uns achtet. Eine höhere Macht.“

 
Sein Bauchgefühl trügt den Engländer nicht.
ANGELS wird am 1. Dezember veröffentlicht und entwickelt sich zum Weihnachtshit 1997.
Das Album hält sich daraufhin fast ein Jahr lang in den britischen Top 10.
ANGELS ist bis heute ein Höhepunkt auf allen Williams-Konzerten. Dabei widmet Robbie den Song oft den verstorbenen Angehörigen anwesender Fans.


ANGELS – für Robbie einst die Rettung seiner Karriere, für Trauernde ein tiefer Trost und für Verliebte einer der schönsten Kuschelsongs der Welt.
 


(Quelle: Auszugsweise aus der VOX-Serie "100 Songs, die die Welt bewegten")