Dienstag, 24. Juli 2018:
Ich halte mich gern unter Bäumen, Dächern und Markisen auf.
Und rätsele: Was treibt meine Mitmenschen in die gleißende Sonne?
Kürzlich war ich mit einer Freundin zum Eisessen verabredet. Um 12:30 Uhr, bei 25 Grad und Sonnenschein.
Als sie erschien, entschuldigte ich mich eiligst, einen Platz unterm Vordach ausgesucht zu haben, statt sie erst einmal zu begrüßen. Ich hielt es für derart erklärungsbedürftig, die pralle Sonne zu meiden, dass ich darüber den Grundsatz der Höflichkeit verletzte.
Mein Fauxpas, sicher. Aber auch ein Ausdruck einer gesellschaftlichen Übereinkunft: Erkennst du einen Sonnenstrahl, dann nichts wie rein.
In den folgenden Tagen schaute ich genauer hin.
Ich sah Menschen, die wie von der Hand des Sonnengottes gelenkt scheinen. Kaum reißt die Wolkendecke auf, haben sie Decken auf sämtlichen sonnenbeschienenen Flecken ausgeworfen, alle Parkbänke besetzt, die von Strahlen erwärmt sind.
Viele schlecken hastig ihr Eis, vergebens – mindestens eine Kugel wird ihnen wegschmelzen.
Einige haben sich frei gemacht, mit Öl eingeschmiert, sie sehen aus wie Nacktschnecken. Über jede Stirn rinnt Schweiß, er macht dunkle Flecken auf T-Shirts, die am Körper kleben.
Die Leute scheinen gequält. Und doch verharren sie im gleißenden Licht.
Ich kann das entspannt aus der Ferne beobachten. Der Wind streicht mir durchs Gesicht, ich muss keine Augen zukneifen, keinen Schweiß tupfen.
Denn ich bin seit einiger Zeit schon auf der Schattenseite. In der Komfortzone.
Früher überquerte ich die Straße, um auf der Sonnenseite zu gehen – nun wechsle ich auf die dunkle Seite.
Ich frage mich also: Warum tun wir uns diese Sonnenanbeterei eigentlich an?
Nachvollziehbar ist noch, dass wir nach dem Winter die ersten Sonnenstrahlen aufsaugen, den Frühstücks-Macchiato rivieramäßig mit Sonnenbrille auf der Nase an der Luft trinken, umwickelt von einer Fleecedecke, denn von der echten Riviera trennen uns 20 Grad.
Aber: Warum sitzen wir im Hochsommer immer noch auf dem Sonnenplatz, nunmehr schwitzend statt fröstelnd?
Vielleicht brutzeln wir noch immer einem Schönheitsideal entgegen, dessen Ursprünge schon Generationen zurückliegen.
Wie oft necken wir Kollegen, wenn sie blass aus dem Urlaub zurückkehren.
Dabei zeugte Blässe jahrhundertelang von sozialem Status, braun wurden bloß die Landarbeiter.
Bis Coco Chanel eines Sommers in den zwanziger Jahren ein Boot in Cannes dunkel gebräunt verließ, so die weithin anerkannte Erklärung.
Und alle wollten so aussehen wie die Mode-Ikone.
Dabei ging ein Malheur voraus: Chanel verbrannte sich unabsichtlich. Bis sie an Land ging, wurde rot zu braun, und man wertete dies als Fashion-Statement.
Die Anekdote ist übrigens regelmäßig in britischen Zeitungen nachzulesen. Die versuchen offenbar redlich, ihren Lesern abzugewöhnen, sich in südlicher Sonne die Haut zu röten.
Engländer, so auch meine Erfahrung, haben es auch nicht so mit Schatten.
ALSO GUT, WIEDERHOLEN wir, was Hautärzte seit Jahrzehnten predigen: Wer unbedingt einen Bronzeteint anstrebt, muss nicht in der Sonne brutzeln, braun wird man auch im Schatten.
Sonne strahlt aus allen Richtungen, reflektiert von Staub, Glas und Wasser.
Geben wir dem Schatten also eine Chance. Schon aus ästhetischen Gründen.
Zugekniffene Augen machen hübsche Gesichter zu Fratzen. Schwitzen ist nicht ansehnlich.
Wie gut man im Schatten aussehen kann, beweisen unsere südeuropäischen Nachbarn. Nippen Mittagsweißwein und Espresso unter dem Schutz der Markise, sodass sie auch nicht mit roten Wangen und wattigen Köpfen an den Arbeitsplatz zurückkehren.
Ja, auch erwiesen: Spanier und Italiener erkranken seltener an Hautkrebs als Deutsche, denn grundsätzlich schützen sich diejenigen mit der dunkleren Pigmentierung besser vor der Sonne. Sie sitzen unter Bäumen und streifen T-Shirts über.
Und Wein verträgt man im Schatten sowieso besser.
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